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Der Mensch als größte Datenplattform. Apps, die so ziemlich alles checken. "Digitale Zwillinge" aus der Summe aller Gesundheitsdaten, die über einen Menschen erhoben werden können. Was sind die Chancen, die Risiken und Nebenwirkungen dieser ungeheuren Schatzkammer neuer digitaler Möglichkeiten in der Medizin? Wem gehören diese Daten? Darüber diskutierten Experten beim "Health4tomorrow"-Abend im Rahmen des "Open Network Healthcare" im gut gefüllten studio dumont. Mehrere Start-ups stellten ihre schon ganz konkreten Innovationen vor, darunter Healex, Rimansys und m.Doc.

Der Druck, sich mit dieser Zukunft heute auseinanderzusetzen, käme aus den digitalen Lebensgewohnheiten der Konsumenten, betonte Chirurg André Nemat, Gründer des Instituts für Digitale Transformation Healthcare (idigiT) an der Universität Witten/Herdecke, das sich seit 2017 für eine humanzentrierte Digitalisierung des Gesundheitswesens einsetzt. "Jeder Arztbesuch ist schon das Einholen einer Zweitmeinung. Jede Woche kommen mehr Patienten mit ihrem iPhone, Uhren, Apps und Armbändern, die Vitaldaten messen. Wir Ärzte sind selber Anwender, ohne die Risiken zu kennen", meinte er. Sein leidenschaftlicher Appell: "Wir müssen die Zukunft der Medizin mitgestalten und sie nicht den Googles, Facebooks oder Amazons überlassen."

93 Apps auf dem Handy

Im Durchschnitt habe jeder Bundesbürger 93 Apps auf seinem Handy, veranschaulichte Boris Otto von der TU Dortmund, Geschäftsführer des Fraunhofer-Instituts für Software- und Systemtechnik, die Dimension der Entwicklung. Der Ingenieur verknüpfte sie mit der Forderung nach mehr Verwendungstransparenz und Datensouveränität der Bürger: "Wir müssen wissen, wer was mit diesen Daten macht."
 


Digital-Ethik-Expertin Sarah J. Becker vom IdigiT nannte als ein Beispiel für sehr persönliche und individuelle Daten die Kinderwunsch-App, mit der zehn Millionen Frauen weltweit Daten über ihren eigenen Körper sammeln: Menstruationsprotokolle, Alkoholkonsum, wann sie Sex haben. In der Summe ein riesiger Datenfundus. Aktuell lägen Daten im Gesundheitsbereich in Deutschland nur in Silos vor und würden nicht verknüpft, erklärte sie. Dies würde nun erstmals die Elektronische Gesundheitskarte ändern.

Die Gretchenfrage, ob die Menschen einen "digitalen Zwilling" wollen, stellte Martin Kiel, Direktor des Thinktanks "the black frame". Angeblich sagen vier von fünf Befragten Ja dazu. "Wir spiegeln uns wieder in unseren Apps", erklärte der Kommunikationsforscher, warnte zugleich davor, die Summe aller dort hinterlegten Daten für das 1 zu 1 Abbild des Menschen zu halten. "Es sind Inszenierungen, nicht nur bei Instagram." Widersprüche im Umgang mit Daten durch die Nutzer sieht auch Sarah Becker: "Wenn ich etwas habe, oder ein Angehöriger, will ich alles an Informationen teilen, bei Facebook ist es mir unheimlich."
 


Die ärztlichen Experten beflügelt vor allem die Vision, durch smart verknüpfte Daten eines Tages Krankheiten wie Herzinfarkte und Krebs verhindern zu können, weil man weiß, an welchen Stellschrauben man je nach persönlichem Profil drehen muss. "Mit der Einführung der elektronischen Patientenakte 2021 werden die Menschen erstmals einen Mehrwert in der Zusammenführung der Daten sehen", prognostiziert Nemat.

Die cleveren Start-up-Ideen an diesem Abend zeigten, was schon heute Wirklichkeit ist. Mit der Software von "motognosis", angeschlossen an ein Handy mit 3-D-Kamera, können Parkinson- und Multiple-Sklerose-Patienten zuhause eigenständig Bewegungen so zuverlässig wie in der Klinik aufzeichnen und analysieren. Die Plattform der Kölner Softwareentwickler Healex ermöglicht, Daten aus Forschung und Versorgung strukturiert zu sammeln und zusammenzubringen. "Noch werden Sie jedes Mal, wenn Sie zum Arzt gehen, neu geboren", klagte Gründer Stefan Wiesner. "Es vergeht unendlich viel Zeit, bevor Erkenntnisse aus der Forschung in die Patientenversorgung gelangen."

Das Düsseldorfer Start-up "Weltenmacher" entwickelt VR-Simulatoren für die Medizin. Patienten setzen eine Virtual-Reality-Brille auf und üben so etwa die sehr viel bequemere, günstigere Heimdialyse. "Der älteste Nutzer war 87, der jüngste ein Sechsjähriger", berichtete Gründer Jonathan Natzel. "So angelernte Patienten machen weniger Fehler als die mit 1-zu-1-Training durch Pflegepersonal. Sie fühlen sich auch sicherer. Die digitale Maschine sagt: Mach das nochmal. Sie hat Geduld, das stresst mich nicht."